„Abgedreht! China töpfert bodennah“ — Ausstellung von Juli 2010 bis September 2011 am Völkerkundemuseum der Universität Zürich

„Abgedreht!“

China töpfert bodennah.

Porzellan in China

Das Töpfern ist eine der ältesten handwerklichen Tätigkeiten. Weltweit trifft man auf eine große Vielfalt an Techniken, mit denen getöpfert wird: auf von Fuß oder von Hand betriebener Scheibe, die im Uhr– oder im Gegenuhrzeigersinn dreht, auf einem Stuhl sitzend oder bodennah hockend, stehend, vornübergebeugt. Entsprechend geht damit eine große Vielfalt des Einsatzes des Körpers einher. Diese Körpertechniken sind mehr als nur individueller Ausdruck des einzelnen Kunsthandwerkers. Vielmehr ist ihr Ursprung lokal und kulturell verankert: „So töpfert man hier bei uns.“
Scheinbare Kleinigkeiten der Arbeitsgewohnheit erweisen sich bei genauer Betrachtung als Ausdruck von weit mehr als bloßer Zweckdienlichkeit. Sitzhaltung, Arbeitswinkel, Arbeitsgesten und Bewegungsabläufe spiegeln das gesamte Umfeld wider – durch sie repräsentiert der Mensch im Körper und durch den Körper seine kulturelle Umgebung und Herkunft, deren überlieferten Verhaltensreichtum und angesammeltes Spezialwissen.

Eine der Prozesstafeln mit Darstellungen aller Arbeitsschritte der traditionellen Porzellanproduktion aus dem Guyao Museum in Jingdezhen.

Bereits früh entwickelten sich in China Zentren hochstehender Porzellanproduktion. Die Stadt Jingdezhen in der Provinz Jiangxi ist spätestens seit der Ming–Dynastie (1368–1644) die eigentliche Porzellan–Hauptstadt Chinas und wird diesem Ruf noch heute gerecht. Chinesisches Porzellan zeichnet sich unter anderem durch die speziellen Verarbeitungstechniken, mit denen es hergestellt wird, und durch seine hervorragende Qualität aus. Diesen beiden Besonderheiten widmet das Völkerkundemuseum der Universität Zürich ein eigenes Forschungsprojekt, in dem eine Keramikerin und Sinologin, ein visueller Ethnologe, eine Fotografin und eine Technikethnologin die Arbeit chinesischer Töpfer erschließen. Während mehrerer Forschungsaufenthalte in Jingdezhen wurde das Handwerk der Töpfer methodisch vielfältig dokumentiert, interdisziplinär untersucht und für die aktuelle Ausstellung aufbereitet. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Die Bodennähe und das Abdrehen.

Meister Wang Yansheng beim Drehen an einer in den Boden eingelassenen, von Hand angetriebenen Töpferscheibe im Guyao Museum, Jingdezhen.

Bodennähe: Die Menschen Chinas leben – teilweise heute noch – nah am Boden. Dadurch wird der Einsatz des Körpers – Haltungen und Bewegungsmuster – in vielen alltäglichen Verrichtungen geprägt. Wer, wie die chinesischen Töpfer, nah am Boden arbeitet, braucht dazu eine entsprechende Technik. Das bodennahe Arbeiten an der im Boden versenkten Töpferscheibe erlaubt die Produktion großer Stücke und steht der Herstellung in großer Menge und in großer Feinheit keineswegs entgegen; in China wird das Arbeiten in dieser Haltung als richtig und bequem empfunden.

Abdrehen: In China wird mit der relativ unplastischen Porzellanerde zunächst eine dickwandige, noch nicht klar erkennbare Form gedreht. In einem nächsten Arbeitsschritt wird der trockene, aber ungebrannt noch sehr zerbrechliche Rohling durch den Abdreher in die gewünschte Form gebracht. Erst die kunstvolle Technik des Abdrehers ermöglicht die Ausarbeitung des ebenmäßigen, hauchdünnen und filigranen Porzellanobjekts.

Körpertechnik

Die Beobachtung des Töpferns beschränkt sich nicht auf die Entstehung des Porzellanobjekts. Ebenso stehen die durch den Menschen über seinen Körper angewandten Techniken im Blickfeld. Unter diesen Körpertechniken versteht man die spezifische Art und Weise, in welcher sich Menschen in den verschiedenen Kulturen ihres Körpers bedienen. Auch ganz alltägliche Verrichtungen, wie beispielsweise weit verbreitete handwerkliche Tätigkeiten, sind kulturell geprägt. Da das Ausüben alltäglicher Verrichtungen keiner willentlichen Anstrengung bedarf, scheint es, als ob das dazu nötige Wissen im Körper selbst vorhanden sei, als ob der Körper selbst „wisse“. Der Körper lernt, in ihm und durch ihn wird kulturelles Wissen gespeichert. Wissen ist dabei nicht mehr eine rein geistige Angelegenheit. Wissen wird körperlich, wird Körper–Wissen.

Die ethnologische Perspektive

Wie erforscht man solche Körpertechniken und das damit ausgedrückte Körper–Wissen? Das Forschungsprojekt sucht auch auf einer methodischen Ebene nach möglichen Antworten. Der äußerliche Aspekt von Körper–Wissen ist beobachtbar. Er kann dokumentiert, fotografiert, gefilmt und beschrieben werden. Derjenige Teil des Körper–Wissens jedoch, der sich aus dem kulturellen Hintergrund ergibt, ist weniger leicht zugänglich. Dessen Erschließung ist oft nur indirekt, z. B. über Befragung der Spezialisten oder über die Untersuchung des hergestellten Objekts möglich. Für eine angemessene Erforschung und Darstellung haben wir uns im hier vorgestellten Projekt entschieden, verschiedene Medien nebeneinander einzusetzen: Neben Materialien und Werkzeugen geben auch die Objekte selbst Aufschluß über ihre Entstehung; neben Texten zu Hintergrund und Umgebung ermöglichen Fotografie und Film interessante Einsichten.

Begleitend zur Ausstellung ist die folgende Publikation erhältlich:
Mertens, Anette und Thurnherr, Christof und Leuenberger, Kathrin und Flitsch, Mareile (Hrsg.)
»Abgedreht! China töpfert bodennah.«
Völkerkundemuseum der Universität Zürich 2010
48 Seiten mit zahlreichen Farbfotos
ISBN 978-3-909105-52-6